Schöne Welten

Eine schöne Welt? Man glaubt sie den Arbeiten von Ruth Habermehl gern, obwohl in ihnen nichts mehr ist, wie es war – fast nichts - und noch nichts, wie es ist. Man glaubt ihnen, weil sie Vergangenes und Zukünftiges perfekt zusammenschieben, uns mit der unübersichtlichen Gegenwart verschonen und doch gerade vor allem diese meinen.

Warum nehmen wir es der Künstlerin ab, wenn sie im Vordergrund einer ihrer Arbeiten ausgelassen badende Kinder zeigt, in der Bildmitte eine schneebedeckte Ebene und am Horizont Hochgebirgsformationen? Wir kennen das alles, was da ebenso plausibel wie raffiniert zu einem neuen Ganzen montiert ist. Selbst die Menschengruppe, die links hinten vor einer sonderbaren braun-schwarzen Wolke ins Bild strömt, passt irgendwie, obwohl die Leute weder Bade- noch Winterkleidung tragen und überhaupt nicht klar ist, was sie dort wollen. „Vorboten“ nennt Ruth Habermehl diese 2005 entstandene Collage. Je länger man schaut, desto deutlicher, sogar unheimlicher werden die Brüche: Das nackte Kind mit dem Ball, ganz vorn, muss doch frieren! Der springende Junge in Badehose scheint in der Luft anzuhalten, denn wo soll er auch aufkommen? Abgebrochene Bäume verbarrikadieren die Nahtstelle zwischen hier blauem, dort schwarz-weiß schäumenden Wasser und der violett schimmernden Schneelandschaft. Tannen lugen hinter einer Lawine wie Gespenster hervor und stören die Sicht auf die schönen blauen Berge. Die hinteren Figuren wirken durch Menge, Unbestimmtheit und Bewegungsrichtung bedrohlich.

Während Komposition und Farbeinsatz ein Bildkontinuum suggerieren, bricht sich die Bedeutung der einzelnen Elemente an den Schnittstellen. Auf die Schnitte kommt es an. Hier wurde Hand angelegt mit Schere, Messer und Klebstoff. Ruth Habermehl verwendet bereits existierendes Fotomaterial, meist aus den 1950er bis 1970er Jahren: Kalender, Zeitschriften, ausgesonderte (DDR-)Bildbände. Sie recherchiert, sammelt, isoliert, indem sie herausschneidet – ordnet, archiviert, füllt ein Reservoir an: Figuren und Landschaftsfragmente - Berge, immer wieder Berge, Wald, immer wieder Wald und Bäume, Schneelandschaften und Wüsten, mediterrane Häuser, Pflanzensolitäre wie ein blühender Kaktus, Enzian oder Königskerze, wolkenbewegte Himmel und Wasser – alles aufgesucht und massenhaft fotografisch festgehalten in aller Herren Länder - von anderen, mit mehr oder weniger bewusstem Impetus. Das recycelt Ruth Habermehl mehr, als dass sie es sich aneignet oder dekonstruiert. Das sind die Zutaten, mit denen sie Szenerien entwirft, wie sie unwirklicher nicht sein könnten. Ein Puzzle aus Klischees von unberührter Natur und kulturellen Verhaltensmustern. Unwahrscheinliches Nebeneinander und unwahrscheinliche Gleichzeitigkeit. Trügerische Idylle, in denen die Einheit von Mensch und Natur schon lange aufgegeben ist, aber immer noch behauptet wird. Nicht von ungefähr zitieren Rückenfiguren à la C. D. Friedrich romantische Naturanschauungen.

Die schönen Bilder kippen, wenn auch nicht ganz und gar. Die Künstlerin kommt der Sehnsucht nach Harmonie entgegen, weil es auch die ihre ist. Sie nimmt sie ernst und führt ihre Fluchtpunkte im Absurden vor Augen. Die Illusionen, die sie anbietet, sind aus lauter Versatzstücken gemacht. Es gibt keine einheitliche Perspektive. Die Blickrichtungen sind disparat, Licht und Schatten parzelliert, Strukturen entfalten unheimliche Dramatik. Der ursprüngliche Kontext der gecutteten Elemente spricht phantomartig mit in der zusammengestückten Bildwelt, die wirklicher als Wirklichkeit wirkt. Im digitalen Zeitalter ist zwar die Logik analoger fotografischer Bilder dem Hybriden virtueller Welten gewichen, doch das Vertrauen in die Objektivität des technischen Mediums scheinbar ungebrochen. Das bildet Ruth Habermehl ab. Nicht Realität, sondern die Wahrnehmung von Realität. Dass sie dabei mit Ironie moralisierende Anflüge übertrumpfen kann, hat vor allem mit dem Bildherstellungsverfahren zu tun – dem Cut Out. Sie setzte es erstmals im Jahr 2000 in der Serie „basic needs“ ein, indem sie typische Szenen aus Reiseprospekten herauslöste, sie sorgsam unter Passepartout freistellte und mit persiflierten Werbeslogans konterkarierte. Es folgten die Serie „sattgrünewiesen tiefblauesmeer“ (2002/2003) und Collagen, in denen Ausgeschnittenes übermalt und in malerische Gründe verpflanzt wurde – Print-Paint-Collagen.

2004 und 2005 entstand ein Konvolut von ca. 50 Fotoprint-Collagen, die 2005 in einer Auswahl unter dem Titel „Schöne Welt Vol. 1“ im Leipziger Kunstverein gezeigt wurden. Das Quadrat, ob 30 x 30 oder 40 x 40 cm ist nicht ohne Grund das ausschließliche Format. Es erzeugt Gleichmaß und Enge, aber auch den Drang, es aufzubrechen.

In den neuen Collagen (60 x 60 cm) - neben „Vorboten“ u. a. „Café Schnee“, „Sonara“, „Waldläufer I + II“ und „Montana“ - unterwirft Ruth Habermehl das Ausgangsmaterial stärker ihren Intentionen, seziert es nicht nur, sondern transformiert es: Sie nimmt nicht nur Kolorierungen vor, sondern nutzt Möglichkeiten des Kopierers, um Größe, Schärfe, Farbe zu verändern.

Seit 2005 setzt sie einige Collagen in C-Prints um, bearbeitet dabei präzise in „Richtung Glaubhaftigkeit“, manipuliert aber nicht, wie sie betont. Waren die Schnitte in den Collagen exakt, das heißt, kaum noch zu erkennen und wurde mit Sorgfalt geklebt – nicht zerrissen oder unbrauchbar gemacht - so sind sie jetzt fast unsichtbar.
Das doppelte Spiel, das die Künstlerin mit medial geprägten Sehgewohnheiten und stereotypen Vorstellungsbildern treibt, ist im Diptychon „Der Herr des Waldes“ ins Parodistische gesteigert, während es das „Waldstück“, einen der neusten großformatigen C-Prints mit zwiespältigen Konnotationen auflädt.
Ruth Habermehl setzt die Landschaft – besonders den Wald – als Aktions- Projektionsraum und Kulisse ein, wie sie selbst in einem Statement formulierte. In der 2004 begonnenen und immer noch wachsenden Werkserie „Blue Box“ dagegen, entzieht sie den Figuren den Kontext ganz: sie legt sie wie in einer Intarsie in Sperrholz ein, konzentriert so die Aufmerksamkeit auf Habitus und Haltung. Der Konflikt von Freiheitsgewinn und Identitätsverlust wird durch den festgelegten leeren Umraum offenbar, der nur optisch vakant bleibt.

Ruth Habermehls Arbeiten sind metaphorisch. Da sie mit nostalgischem Personal arbeitet, erlaubt sie sich und uns Distanz.

Sigrun Hellmich

Lovely Worlds - Ruth Habermehl: Collages

A lovely world? One likes to believe this in Ruth Habermehl’s collages. Although, nothing is as it was – almost nothing is how it is - not yet. One believes them because they push together past and future perfectly; sparing us the complex present, however leaving us the present.

Why do we take it from the artist when she shows us: children bathing playfully in the foreground, a snowy plane at center and a horizon full of mountains? We know that the plausible and the refined are reframed in a new whole. Even the group of people flowing out to the left behind by an odd brown-black cloud fits in the picture somehow, though the people are neither bathing nor wearing winter clothes and it is not clear what they’re doing there. “Harbingers”, is the name of this 2005 collage. The longer one looks, the more clearly, even uncanny the breaks become: The naked child with the ball, filling foreground, must be freezing! The jumping boy in swimming trunks seems to stop in mid air, because, where better a place? Broken off trees barricade the seams between blue water here and black-and-white effervescent water and the violet glistened snowy scenery there. Firs peep behind an avalanche like ghosts, disturbing the view of fine blue mountains. Indefiniteness, directionless and sheer numbers leave the rear figures menacing.

While composition and color application suggest a picture continuum, the meaning of singular elements breaks at the borders. It depends on the cuts. A hand sets in here with scissors, knife and paste. Ruth Habermehl uses existing photo material, mostly from the 1950s to the 1970s: Calendars, magazines, the selected (GDR) illustrated books. She investigates, collects, in isolation, while she cuts out – orders, puts into archives, fills a reservoir: Figures and fragments of scenery - mountains, over and over again, mountains, woods, over and over again, woods and trees, snowy sceneries and deserts, Mediterranean houses, plant solitaires like a blossoming cactus, gentian or great mullein, skies and waters moved by clouds, everything visited and massively photographically, more or less deliberately held on to in all male lands. Ruth Habermehl recycles this further, in that she appropriates or deconstructs. These are the ingredients with which she sketches sceneries that could not be more unreal. A puzzle from stereotypes of untouched nature and cultural behavior patterns. Unlikely coexistence and unlikely simultaneousness. The delusive ideal in which the unity between man and nature has long been given up, yet somehow maintained. Quoting, with good reason, figures seen from behind à la C. D. Friedrich’s romantic concepts of nature (Naturanschauungen).

The lovely pictures almost entirely shift. The artist obliges the longing for harmony as it is also hers. She takes this seriously and draws vanishing points in the absurd. The illusions she offers are misalignments. There is no uniform perspective. The lines of sight are disparate, light and shade are parcelled out in the uncanny drama of structures. The phantom-like original context of the edited elements speaks with a piece meal picture world that seems more real than reality.

Indeed, in the digital age, the logic of photographs yields to the hybrid of virtual worlds. Our confidence in the objectivity of this technical medium remains apparently unbroken. Ruth Habermehl illustrates this. Not reality, but the perception of reality. The fact that she avoids moralizing flights through irony, has everything to do with her picture making process – the cut out. She used it for the first time in 2000, in the series "Basic Needs", where she juxtaposes carefully edited holiday brochures with satirical advertising slogans.

The series “Full Green Meadow - Deep Blue sea” (2002/2003) and Collages followed. Here, cut outs are painted over and transplanted into painterly backgrounds: print - paint collages. A series of approx. 50 photo-print collages created in 2004 and 2005, appear in selection at the Leipzig Artists Guild in a show titled "Lovely world Vol. 1". The square, whether 30 x 30 or 40 x 40 cm is with good reason, the exclusive format. It generates symmetry, narrowness and the urge to break it open.

In the latest collages (60 x 60 cm) - beside " Harbingers “ u. a. “Café Snow”, “Sonara“, “Hiker I + II” and “Montana“ - Ruth Habermehl subjects the raw material to her intentions, not only dissecting, but transforming them: She not only colorizes, but uses copier possibilities to change size, sharpness and color.
Since 2005 she has been converting collages into C-Prints, working in “a direction of credibility”, changed but not manipulated, she stresses. The cuts in the collages are exact, that is, hardly recognizable and placed with care – not torn or made useless – nearly invisible now.
Media infused visual habits and stereotyped images provide the double play. If the paradox of “King of the Forest” is increased in the Diptych, then the "Woodland", one of the new large format C-Prints is charged with ambivalent connotations. Ruth Habermehl sets in landscape – especially woods – as an action projection area and backdrop. She says this in an artist’s statement.
In contrast, the still growing series begun in 2004 “Blue box”, where she takes the context completely away from the figures: she inserts them as an inlaid work of plywood, thus concentrating on disposition and posture. The conflict of freedom-gain and identity-loss become apparent by the fixed, empty surroundings which remain vacant only optically.
Ruth Habermehl's pictures are metaphoric. She works with a nostalgic staff, allowing each of us distance.

Sigrun Hellmich
Translation from the German by, Rachel Kaplan